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Zeitmanagement in Zeiten von Corona

Da praktiziert man ein ausgeklügeltes, austariertes Zeitmanagement – und dann kommt Corona! Aber die Stärke einer Methode zeigt sich gerade in Krisenphasen. Mein Zeitmanagement-System unterscheidet vier Typen von Tätigkeiten: schwarz, rot, gelb und grün.

Bedeutung der Farben

Schwarze Tätigkeiten sind Termine, zu denen man anwesend sein muss, ohne dort ein Ergebnis zu produzieren: Kurse, Besprechungen, Vorträge, egal ob man sie selbst hält oder zuhört. Typisch dafür ist, dass diese Zeiten  von der Arbeitszeit abgehen, aber hinterher nicht weniger, sondern mehr Aufgaben auf der To-do-Liste stehen. Die roten Aufgaben sind dringende Kleinigkeiten wie Beantwortung von E-Mails, kurze Anrufe, Vor- und Nachbereitung der produktiven Arbeit durch Ausdrucken, Runterladen, Hochladen und so weiter. Diese umfassen bei mir immer ein bis zwei Stunden pro Tag. Als produktiv empfindet man nur die gelben und grünen Aufgaben, die echte Ergebnisse erzeugen, wobei die grünen umfangreiche, langfristige Projekte von mehreren Dutzend oder sogar mehreren hundert Stunden sind, während die weniger umfangreichen gelben innerhalb der nächste Tage fertig werden müssen. Beispiele für grüne Aufgaben wären das Schreiben eines Buchs oder Durchführen eines Forschungsprojektes. Die gelben Aufgaben umfassen das Vor- und Nachbereiten von Besprechungen und Kursen, das Schreiben eines kurzen Artikels, Feedbackgeben an einen Mitarbeiter oder Kollegen, Aktualisieren einer Webseite.

Phasen des Lockdowns

Seit dem Lockdown hat mein Zeitmanagement drei Phasen durchlebt. Die ersten zehn Tage waren sehr produktiv. Ein zweitägiges Arbeitskreistreffen in München und eine dreitägige Schulung in Stuttgart wurden abgesagt, die Konferenz in Italien auf „nach der Corona-Krise im Mai oder Juni“ verschoben, die restlichen Kurse ins Internet verlegt. Dadurch fielen Reisezeiten und Veranstaltungen (= schwarze Tätigkeiten) weg, und unerwartet wurden ganze Tage „frei“ für produktive (gelbe und grüne) Arbeit. Traumhaft! Die ganze Woche Home Office statt nur ein oder zwei Tage, das vervielfacht die Ergebnisse.

Vorteilhafte Zugreisen

Innerhalb weniger Wochen jedoch fanden wir in den üblichen Meeting-Zirkus zurück: Besprechungen, Kurse und Konferenzen wurden in den virtuellen Raum verlegt. Einziger Vorteil zu vorher: keine Reisezeiten. Das erwies sich jedoch nicht als ausnahmslos vorteilhaft. Im Gegenteil zeigte sich schnell die wichtige Rolle der Zugreisen im Zeitmanagement. Üblicherweise ziehe ich Verbindungen mit möglichst wenig Umstiegen vor. Damit senke ich das Risiko, durch einen oder mehrere verpassten Anschlüsse unvertretbar spät anzukommen, und gewinne eine möglichst lange Phase ungestörten Arbeitens. Ich führe eine separate To-do-Liste für die Zugfahrten – witzigerweise immer noch, weil ich nicht weiß, wo ich diese Aufgaben sonst hinschreiben sollte.
Im Zug nehme ich mir die Zeit für die gelben und grünen Tätigkeiten, auf die ich mich mehrere Stunden am Stück konzentrieren muss. Eine normale Woche besteht aus drei Kurstagen und zwei Home Office Tagen, die durch zahlreiche Telefonkonferenzen und Webinare unterbrochen werden. Produktive Arbeit ist da nur zweistundenweise in den Randzeiten möglich, also vor dem ersten Telefonat des Tages und / oder nach dem letzten. Auf einer sechsstündigen Zugfahrt schaffe ich also die produktive Arbeit von zwei Home Office Tagen.

Das Reisen fördert jedoch auch die geistige Erholung. In Wartezeiten am Bahnhof, vor allem gemütlich im Café, kann man Blick und Gedanken schweifen lassen, Romane lesen, Brainstormen und Konzepte erstellen. Tja, das fiel jetzt weg! Keine mehrstündigen Schreib- oder Lesesitzungen mehr, keine Entspannungszeiten. Jeder Tag war gleich straff verplant.

Dauerhaft erreichbar

In der dritten Phase wurde alles schlimmer als je zuvor. Hatte ich vorher meine Telefonate auf die beiden Home Office Tage konzentrieren können und mich an den anderen Tagen mit „Ich bin unterwegs“ entschuldigen, gab es nun kein Pardon mehr. In der virtuellen Welt kann man jederzeit überall sein. Die Teilnahme an einer mehrtägigen Tagung in Italien war keine Ausrede mehr, um eine Telefonkonferenz zu schwänzen. Mehrmals pro Woche war ich theoretisch in zwei oder drei Online-Meetings gleichzeitig oder zappte von der Vorlesung in eine Mittagspausenbesprechung und von dort wieder zurück. Schlimmstenfalls weilte ich gleichzeitig auf einer Konferenz in Pisa, gab Vorlesung in Dortmund und saß bei einer Sitzung in Bonn.

Die Anzahl der Online-Meetings übertrifft inzwischen die der früheren Real-Life-Meetings, auf Kosten der produktiven Arbeit. Ein Arbeitskreis, der sich früher ein Mal monatlich einen ganzen Freitag oder Samstag lang zusammensetzte, telefoniert nun jede Woche zwei Stunden. In der Summe kommen wir auf dieselbe Stundenzahl, aber organisatorisch doch eher vier Halbtage statt einen ganzen Tag. Ein anderes Gremium, das sich bisher nur alle drei Monate traf, tagt nun viel häufiger, was die Arbeit und Mitbestimmung deutlich verbessert. Und ich kann mich auch in Konferenzen stundenweise einklinken, die ich früher nicht hätte besuchen können, weil ich am selben Tag tausend Kilometer entfernt einen halbtägigen Kurs zu halten hatte. Nun bin ich also überall dabei, aber auf Kosten der produktiven Stunden. Ich bin nur froh, dass man wieder (bzw. noch) weite Zugreisen machen darf und freue mich auf die wenigen Gelegenheiten. Viel zu schnell sind stets die unterbrechungsfreien Halbtage im Train Office vorbei!

Alte Routinen funktionieren nicht mehr

Mir wurde durch die Corona-Krise bewusst, wie wohlausgewogen die Arten meiner Tätigkeiten auf die Mischung meiner verschiedenen Arbeitszeitkontingente abgestimmt war. Ich führte beispielsweise immer genau so viele Literaturrecherchen durch, wie ich unterwegs erledigen konnte. Ich bin immer noch nicht zurück im Gleichgewicht, aber ich werde besser. Die Zug-Liste schrumpft auch ohne Bahnfahrten wieder.

Wie wohl fast alle hätte ich gerne mein altes Leben zurück. Aber letztlich passt man sich an, sobald die alten Routinen nicht mehr funktionieren, und entwickelt neue. Ein systematisches Zeitmanagement zeigt gerade in dieser Krise seine Stärken, weil man schnell und klar nachvollziehen kann, wie sich geänderte Randbedingungen auf die Arbeit auswirken und an welcher Stellschraube man korrigierend drehen muss.

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