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Zeitmanagement oder die Grausamkeit von Listen

Listen zu führen ist ein wesentlicher Bestandteil des Zeitmanagements. Nur auf der Grundlage von Aufgabenlisten kann man optimal die nächste zu bearbeitende Aufgabe auswählen. Allerdings gibt es in Zeitmanagement-Kursen immer wieder Teilnehmer/innen, die sich mit Händen und Füßen, aber ohne gute Argumente, dagegen sträuben, Listen ihrer aktuellen Projekte zu erstellen oder Listen ihrer für den nächsten Arbeitstag geplanten Aufgaben. Weder „Das ist so wenig, dass ich das auch im Kopf verwalten kann“ noch „Das ist viel zu viel und lohnt sich nicht aufzuschreiben“ ist ein gültiges Argument, weil unser Gehirn nicht sehr gut darin ist, Listen stets vollständig präsent zu haben. Den unbestechlichen Überblick, den Listen bieten, verlieren wir spätestens dann aus dem Blick, wenn wir uns gerade mit Details beschäftigen oder negative Gefühle dafür sorgen, dass wir unliebsame Aufgaben „vergessen“.

Weshalb der Gedanke an Listen viele Leute abschreckt

Ich verlasse mich schon lange nicht mehr auf mein Gedächtnis, weil ich dank meiner Listen so viele Projekte parallel bearbeiten kann, wie ich sie nicht mehr im Kopf verwalten könnte. Das bedeutet kein Nachlassen meiner geistigen Fähigkeiten, sondern dass ich eine große Anzahl von Projekten parallel bearbeiten kann. Effizienz ist schließlich das Ziel guten Zeitmanagements.

Andere Menschen arbeiten aber noch ohne Listen und ahnen wohl instinktiv, welche enorme Veränderung Listen in ihrem Leben bewirken werden oder würden. Sie müssen dann nichts mehr vergessen, dürfen oder können es auch nicht mehr. Wobei ich keinen Chef kenne, der „Ich habe vergessen, mich darum zu kümmern“ als gültige Entschuldigung gelten lässt. Aber vor sich selbst scheinen viele Menschen diese Ausrede zuzulassen. Listen führen einem grausam und schmerzhaft vor Augen, was man noch alles erledigen muss. Besonders schlimm wird es, wenn man für jede Aufgabe oder jedes Projekt abschätzt, wie viele Arbeitsstunden dafür noch zu investieren sind. Dann kommt man schnell auf eine Tagesauslastung von 26 Stunden oder eine Wochenarbeitszeit von 100 Stunden. Am Ende wird es natürlich nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Das eine oder andere lässt sich doch auf morgen verschieben.

Effizientes und selbstbestimmtes  Arbeiten mit der richtigen Zeitplanung

Listen zu führen bedeutet, sich den Tatsachen frühzeitig zu stellen, beispielsweise der anstehenden Überlast, statt sie zu verdrängen. Es bedeutet auch, die Verantwortung für die aufgelisteten Aufgaben zu übernehmen und Verbindlichkeit herzustellen. Das fühlt sich anders an als wie ein Kind vor sich hin zu spielen und sich gelegentlich, nach einer väterlichen Ermahnung, doch an die Hausaufgaben zu begeben. Listen machen die Arbeit zum Normalzustand, die Pause zur unproduktiven Lücke.

Das kann sich gut anfühlen: Man trifft dank der Übersicht immer die richtige Entscheidung, bearbeitet das Wichtige zuerst, kann stündlich etwas von der Liste streichen und reicht alles pünktlich ein. Man arbeitet viel, aber ohne Stress. Man fühlt sich als Herr(in) der Lage, der/ die bewusst entscheidet, woran er/ sie als nächstes arbeitet. Man fühlt sich souverän und selbstbestimmt, denn von außen vorgegeben sind zwar Termin, Umfang, Budget und zu liefernde Qualität, aber über meinen Arbeitstag verfüge ich immer noch selbst und entscheide darüber, an welchem Tag ich woran um welche Uhrzeit arbeite. Kursteilnehmer behaupten zwar gerne, das sei nur bei Selbständigen so, während Angestellte völlig fremdbestimmt arbeiten, doch habe ich noch niemanden gefunden, dessen Chef ständig neben dem Schreibtisch steht und sagt: „Und jetzt machst du genau diese Aufgabe.“ Im Gegenteil würde sich der Chef „bedanken“, wenn man ihn im Stundentakt befragt, welche Aufgaben als nächste dran ist. Der Entscheidungsspielraum ist bei einem gut ausgelasteten Berufstätigen – ob selbständig oder angestellt – tatsächlich nicht sehr groß, da doch sehr klar vorgegeben ist, wann was in welcher Qualität geliefert werden muss. Trotzdem bleibt noch Spielraum, wenigstens auf Tagesebene die Reihenfolge selbst festzulegen und auch diesen zeigt die Liste auf.

Listen dienen der Selbsterkenntnis und fördern die Produktivität

Listen zu führen kann auch sehr schmerzen. Für den Listenneuling fühlt es sich vielleicht so an als sei man ein Computer, der ein von Fremden erstelltes Programm abarbeitet. Auch dann, wenn man dieses Programm selbst am Morgen erstellt hat. Eine Liste scheint Kreativität und Spontanität zu unterdrücken. Das muss aber nicht sein. Sie sollten kein Arbeitsplan sein, auf dem der Stundenplan für den Tag eingetragen ist. Ich bin sehr für Spontanität und auch dafür, an dem zu arbeiten, auf das ich gerade am meisten Lust habe. Dann arbeite ich am schnellsten. Als Kompromiss erledige ich gerne abwechselnd eine wichtige und eine schöne Aufgabe. Die Liste dient als Menü, von dem ich mir die nächste Aufgabe aussuche. Es hat sich zwar bewährt, morgens mit dem Wichtigsten zu beginnen, aber auch das ist kein Muss.

Besonders schmerzhaft sind Listen aber für diejenigen, die ihren Job abgrundtief hassen und ihn am liebsten gar nicht machen würden. Listen erschweren die Prokrastination oder verursachen beim Aufschieben noch mehr schlechte Gefühle. Auch Selbsttäuschung ist dann nicht mehr möglich. Listen zeigen gnadenlos schon Wochen und Monate im Voraus auf, wenn man zu viele Projekte gleichzeitig bearbeitet und bereits  jetzt Überstunden für die nächsten sechs Wochen abonniert hat.

Auch weitere Zusatznutzen des Zeitmanagements sind schmerzhaft: Zeitmanagement dient der Selbsterkenntnis: Wie effizient bin ich? Prokrastiniere ich? Wie viel Zeit verbringe ich mit unnötigen Tätigkeiten? Mit welchen Tätigkeiten verbringe ich wie viel Zeit? Was priorisiere ich hoch oder niedrig und ist das sinnvoll? Nach welchen Kriterien treffe ich meine Entscheidungen?

Mit der entsprechenden Organisation ist auch das Aufschieben von Aufgaben erlaubt

Wer gerne den Fakten ins Auge sieht, Probleme löst und Ergebnisse erzeugt, der mag das. Für manche ist aber der erste Blick in den klaren Spiegel erschreckend und gewöhnungsbedürftig. Letztlich haben wir doch immer mehr Arbeit vor uns als wir schaffen können, priorisieren unvernünftig und vertrödeln Zeit. Mit einem gut strukturierten Zeitmanagement können wir es uns aber auch kontrolliert selbst erlauben, genau in dem Maße, wie es noch möglich ist. Aufschieberitis ist ja letztlich normal. Manches macht eben mehr Spaß als das andere, und das Unangenehme schieben wir vor uns her. Das kann man ja machen, solange man den Abgabetermin trotzdem einhält. Darin liegt die Kunst, die auch durch Listen ermöglicht wird.

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